Werte und Würde

von Dr. Irmgard Griss, Abgeordnete zum Nationalrat

Wien, am 03. Mai 2018

Lassen Sie mich mit einem Beispiel aus der Literatur beginnen. Und zwar mit dem Dialog zwischen dem Handlungsreisenden Willy Loman und Howard, seinem Chef, im „Tod des Handlungsreisenden“ von Arthur Miller.

Willy Loman sucht seinen Chef auf, um ihn zu bitten, ihn in den Innendienst zu versetzen. Doch Howard geht zuerst gar nicht darauf ein. Er spricht lieber über sein neues Tonbandgerät. Willy Loman schildert eindringlich, wie müde er nach 34 Jahren Vertreterdasein ist, dass man ihn nicht mehr kennt und der Erfolg ausbleibt. Doch Howard sagt nur, dass er keine Stelle für ihn hat. Er bleibt dabei, auch als Loman den ursprünglich genannten Lohn von 65 Dollar in der Woche sukzessive auf 40 Dollar verringert, auf einen Betrag, der gar nicht mehr ausreicht, um davon leben zu können. Willy Loman bettelt geradezu darum, eine Stelle im Innendienst zu bekommen. Was kann er in dieser Situation noch tun? Er kann versuchen, an Howards Gewissen zu appellieren: „Ich habe dieser Firma 34 Jahre geopfert, Howard, und heute kann ich nicht einmal meine Versicherung bezahlen! Du kannst die Zitrone nicht auspressen und dann die Schale wegwerfen – ein Mensch ist doch kein Abfall!“ Doch Howard bleibt ungerührt und Willy Lomans Leben endet tragisch.

Was hat dieser Dialog mit Werten und Würde zu tun? Ich glaube, dass darin auf beispielhafte Weise sichtbar wird, wie wichtig die Würde für unser Leben und wie gefährdet sie gleichzeitig ist. Gezeigt wird darin auch, dass die Würde verletzt wird, wenn Werte wie Respekt und Mitgefühl in der zwischenmenschlichen Begegnung keine Rolle spielen.

Werte und Würde hängen eng zusammen. Ob wir durch unser Verhalten unsere eigene Würde oder die anderer verletzen, hängt davon ab, ob und welche Werte unser Verhalten bestimmen. Damit will ich mich in meinem Beitrag befassen. Beginnen will ich mit dem Versuch, Würde näher zu definieren. Dann will ich darauf eingehen, welche Werte im Zusammenhang mit Würde von Bedeutung sind. Schließen will ich mit einigen Bemerkungen zum Zusammenspiel zwischen Werten und Würde im Alltag.

  1. Würde

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen“. So steht es in Art 1 der Grundrechtecharta der Europäischen Union; eine inhaltsgleiche Bestimmung findet sich in Art 1 des deutschen Grundgesetzes.

Gemeint ist damit nicht, dass die Würde des Menschen nicht verletzt werden könnte, sondern dass sie nicht verletzt werden darf. Nicht definiert ist, was unter der Würde des Menschen zu verstehen ist. Eine Hilfe bei der Auslegung bietet das Menschenbild. Denn Menschenbild und Menschenwürde hängen eng zusammen. Das Menschenbild bestimmt, was wir unter Menschenwürde verstehen.

Unser Menschenbild hat verschiedene Wurzeln. Das aus der griechisch-römischen Antike stammende Bild des Menschen ist das eines vernunftbegabten Wesens. Danach sind Menschen vor allem Vernunftwesen; sie haben ein Gewissen und sind somit fähig, ein moralisches Urteil zu fällen und danach zu handeln. Das frühe Christentum begründet die besondere Stellung und Würde des Menschen mit seiner Gottebenbildlichkeit. Auf Immanuel Kant geht die Vorstellung zurück, dass der Mensch nie nur Mittel, sondern immer auch Zweck ist.

Diese Erkenntnis prägt wohl auch unser heutiges Verständnis von Würde. Wir werden uns darüber einig sein, dass der Mensch nicht instrumentalisiert werden darf, wobei durch die allgegenwärtige Manipulation die Gefahr einer Instrumentalisierung groß ist.

Wie können wir näher bestimmen, was uns Würde bedeutet? Mit Peter Bieri, Schweizer Philosophieprofessor in Deutschland und als Pascal Mercier Autor des Romans „Nachtzug nach Lissabon“, werden wir sagen können, dass die Würde des Menschen eine bestimmte Art und Weise ist, ein menschliches Leben zu leben.

  • Werte

„Werte“ ist ein viel gebrauchter und manchmal auch missbrauchter Begriff. Oft wird damit nur Inhaltsleere und Beliebigkeit zugedeckt. Der Fairness halber muss man zugeben, dass die Vielzahl von Werten genauere Aussagen nicht gerade erleichtert. Denn grundsätzlich kann fast jede gute Eigenschaft auch ein Wert sein. Wer die für das Zusammenleben wesentlichen Werte bestimmen will, hat die Qual der Wahl.

Die deutsche Wertekommission hat vor einigen Jahren Führungskräfte gefragt, welche Werte für den Unternehmenserfolg wichtig sind. Nach dem Ergebnis der Umfrage sind das Vertrauen, Verantwortung, Integrität, Respekt, Mut und Nachhaltigkeit. Ihre Bedeutung für den Unternehmenserfolg wird in den verschiedenen Bereichen freilich unterschiedlich eingeschätzt.

Bei einer Umfrage unter österreichischen Führungskräften wird das Ergebnis ähnlich sein. Denn es liegt auf der Hand, dass eine Führungsperson bei Mitarbeitern und Geschäftspartnern Anerkennung finden wird, wenn Vertrauen, Verantwortung, Integrität, Respekt, Mut und Nachhaltigkeit ihr Verhalten prägen.

Das gilt aber nicht nur für Führungspersonen, sondern es sind dies Werte, die ganz allgemein für unser Zusammenleben wichtig sind. Wenn wir Vertrauen aufbauen, wenn wir auch selbst vertrauen, wenn wir Verantwortung übernehmen, wenn wir integer sind, wenn wir andere respektieren und unsere Ziele mit Mut und Nachhaltigkeit verfolgen, dann folgen wir Leitlinien, die uns helfen, die Zumutungen des Lebens zu bestehen.

  1. Werte und Würde im Alltag

Die Bestimmung der maßgeblichen Werte ist nur ein erster, wenn auch wichtiger Schritt. Entscheidend ist die Umsetzung in die tägliche Praxis, also die Frage, wie die Werte unser Handeln prägen und wie sich die von uns gelebten Werte auf unsere Würde und die Würde anderer auswirken.

Dabei müssen wir uns bewusst sein, dass wir durch unser Handeln die Würde anderer, die eigene Würde in den Augen anderer und auch die eigene Würde in den eigenen Augen, das ist die Einstellung zu uns selbst, gefährden können. Oft sagen Menschen nach schwierigen Entscheidungen, sie hätten auf etwas – auf ein Amt, eine Funktion, einen Vorteil – verzichtet, um „sich noch in den Spiegel schauen zu können“. Mit diesem Ausspruch „ich will mich in den Spiegel schauen können“ sprechen wir die Einstellung zu uns selbst, die eigene Würde, an.

Um die eigene Würde und auch die Würde anderer zu bewahren, braucht es Wahrhaftigkeit sich selbst gegenüber. Genauso wichtig ist die Fähigkeit, sich in den anderen hineinzuversetzen, eine Sache oder Situation auch mit den Augen des anderen zu sehen.

Wahrhaftigkeit sich selbst gegenüber, erreicht man durch Selbstkritik. Selbstkritisch sein heißt, das eigene Denken und Handeln kritisch zu hinterfragen. Das fällt nicht immer leicht und erfordert Distanz zu sich selbst. Peter Bieri rät dazu, bei allem, was auf einen zukommt, zwei Fragen zu stellen: Was bedeutet das? Woher weiß ich das? Stellt man diese Fragen und bemüht man sich, eine ehrliche Antwort zu geben, so erreicht man allein schon dadurch Klarheit und Ordnung im Denken. Klarheit und Ordnung im Denken sind wiederum die Voraussetzung dafür, dass eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Denken überhaupt gelingen kann.

Selbstkritik braucht immer wieder Anstöße von außen. Anstöße können Menschen geben, die in der Lage und auch bereit sind, durch offene Worte dazu beizutragen, dass Schwächen erkannt und Fehler vermieden werden. Das wird nur gelingen, wenn der kritische Anstoß erkennbar von Sorge um die Sache und von grundsätzlichem Wohlwollen für die Person getragen ist. Denn als Anfeindung empfundene Kritik führt zu Verhärtung und fördert Lagerdenken.

Ein kritisches Umfeld bildet sich nicht von selbst. Es muss gewollt werden und entsteht nur, wenn ein Klima der Offenheit herrscht und Kritiker nicht fürchten müssen, durch offene Worte Nachteile zu erleiden. Für die Gesellschaft und damit für uns alle ist es ein Armutszeugnis, wenn es den Deckmantel der Anonymität braucht, damit sich jemand traut, berechtigte Kritik zu üben. Denn es wirft ein bezeichnendes Licht auf das gesellschaftliche Klima und zeigt, dass offene Worte offenbar nicht geschätzt werden und Nachteile nach sich ziehen  können.

Wer selbstkritisch ist, wird sich bemühen, die wahren Motive für sein Handeln herauszufinden und sich selbst gegenüber zuzugeben. Das erhöht die Chance, richtige Entscheidungen zu treffen. Denn niemand ist davor gefeit, sich von sachfremden Motiven leiten zu lassen. Erst das Eingeständnis, dass es sachfremde Motive sein können, die eine Alternative attraktiver erscheinen lassen, macht eine Entscheidung möglich, die sachlich begründet ist. Gegenüber den Betroffenen ist die Offenlegung der wahren Erwägungen eine Frage des Respekts und gleichzeitig eine Voraussetzung dafür, dass sie die Entscheidung auch akzeptieren.

Selbstkritik bewahrt aber auch vor Selbstgerechtigkeit, Selbstüberschätzung und Selbsttäuschung. Sie ist damit eine Voraussetzung für Integrität. Denn wer sich selbst gegenüber ehrlich ist, wird der Versuchung zu Selbstgerechtigkeit, Selbstüberschätzung und Selbsttäuschung eher widerstehen können als jemand, der dazu neigt, manches auch sich selbst gegenüber im Dunkeln zu lassen.

Wer sich dank selbstkritischer Einstellung selbst kennt, wird auch andere Menschen besser verstehen und einschätzen können. Und wer zu sich selbst ehrlich ist, wird das auch anderen gegenüber sein. Ehrlichkeit und Redlichkeit, die Übereinstimmung von Reden und Handeln, sind Voraussetzungen für Authentizität. Denn nur wer sich und anderen nichts vormacht, wird als der erscheinen, der er tatsächlich ist.

Wer sein Handeln an Werten orientieren will, muss sich in die davon Betroffenen hineinversetzen können. Wem es gelingt, die Sache oder Situation auch mit den Augen der davon Betroffenen zu sehen, der wird viel eher bereit sein, sich an Werten zu orientieren, die für das Miteinander von Bedeutung sind. Das sind vor allem Vertrauen und Respekt. Sich in andere hineinzuversetzen gelingt nicht immer. Aber allein das Bemühen erhöht schon das Verständnis füreinander und damit die Chance auf ein friedliches Miteinander.

Wenn es uns aber gelingt, uns in andere hineinzuversetzen, dann werden wir sie besser verstehen und auch besser kennenlernen. Wir werden dann auch viel eher bereit sein, zu vertrauen und Verantwortung zu übertragen. Denn Vertrauen und die Übertragung von Verantwortung brauchen eine Grundlage, wenn sie beständig sein sollen.

  1. Schlussbemerkung

Lassen Sie mich zum eingangs gebrachten Beispiel zurückkehren. Wer verletzt im Dialog zwischen Willy Loman und Howard wessen Würde? Und die  Beachtung welcher Werte hätte dazu geführt, dass die Würde gewahrt worden wäre?

Howards Verhalten gegenüber Willy Loman, sein Nichteingehen auf seine Not, verletzt Willy Lomans Würde. Denn es ist Missachtung, die er ihm gegenüber zeigt.  Aber es ist nicht nur Howard, der Willy Lomans Würde verletzt. Auch Willy Loman erniedrigt sich, wenn er seine Gehaltsvorstellungen immer weiter verringert und geradezu um eine Stelle im Innendienst bettelt.

Um Willy Lomans Würde zu wahren, hätte ihm Howard mit Respekt begegnen müssen. Das wäre ihm eher gelungen, wenn er sich in Willy Loman hineinversetzt hätte. Es hat an beidem gefehlt: an Respekt und an Empathie.

Das Beispiel zeigt auch, wie schwierig es ist, in existenziellen Situationen die eigene Würde zu wahren. Helfen kann dabei die ständige Selbstvergewisserung, welche Werte uns wichtig sind und ob sie unser Leben tatsächlich prägen. Denn es verletzt unsere eigene Würde, wenn Werte für uns in Wahrheit nur leere Worte sind.

 

Was ist Würde?

Wien, 6. Mai 2018 von Johannes Wesemann

 

 

Was geht, du Würde?

Wir wissen einfach zu wenig.

Wie beschreiben wir eine Länge von 8 Metern?

Wie erklären wir dem Geruchslosen den Kaffeegeruch?

Warum nennen wir den 12 ½ Hochzeitstag Petersilienhochzeit ?

Und wenn wir ein Ei lose auf den Kopf stellen wollen,

dann fällt es immer um. Warum?

Wenn alle sagen, dass am Ende des Regenbogens dieser Schatz liegt,

dann frage ich mich, warum der Schatz noch nicht gefunden wurde.

Liegt es daran, dass der Regenbogen eigentlich ein Kreis ist?

Wir wissen einfach zu wenig.

Der Mensch weiß zu wenig.

Stellt aber alles in Frage.

Er stellt den Klimawandel in Frage. Zumindest einige.

Er stellt den Sinn einer Sicherheitsnadel in Frage.

Er stellt das Rauchverbotsgesetz in Frage, um sich feiern zu lassen.

Er stellt somit sich selbst in Frage.

Der Mensch stellt sich über den Menschen. Über das Gemeinwohl.

Wir kennen das. Das hat Tradition. Seit immer schon.

Wie kann also ein Mensch, der sich selbst in Frage stellt,

der so vieles nicht weiß,

wie kann ein solcher Mensch ….

die Würde eines Menschen begreifen, sie achten?

Die Würde eines Menschen lehnt sich – offensichtlich – an die Rechte jener

selben. Reden wir also über die Würde, über ein würdevolles Miteinander,

dann reden wir darüber, die Rechte anderer zu akzeptieren.

Der Mensch hat jedoch eine sehr grausame Beziehung zu den Rechten der

Menschen. Das hat er hinlänglich bewiesen. Der Mann aus Braunau im 20.

Jahrhundert. Omar al-Baschir im Sudan. Idi-Amin in Uganda. McCarthy in

den 50er Jahren. Die katholische Kirche setzte im Laufe der Jahrhunderte

mit strahlendem Beispiel die Menschenwürde außer Kraft. Ebenso

politische Würdenträger im 21. Jahrhundert. Denken wir an Ungarn, an

Polen oder an die USA. Und es geht weiter und weiter.

Und weil die Würde derart belastet ist,

historisch, faktisch, inhaltlich wie auch humanistisch,

sollten wir uU der Würde wegen die Würde neu definieren,

um jenen Raum zu geben, sie doch wieder zu lieben.

Wenn wir also hier und heute über die Würde reden,

dann sollten wir über den Menschen reden.

Wenn wir über den Menschen reden,

dass seine Würde tatsächlich unantastbar ist,

dann könnten wir sagen, dass seine Seele unantastbar ist.

Wie kann es dann aber sein, dass so viele Menschen unsere Seele

antasten. Den ganzen Tag. Ob in der U-Bahn jene, die mir die Kippa vom

Kopfe reißen, ob in der Schule der Lehrer, der als Kind mir mein Glück

nahm, Kind zu sein. Und so meine Würde als Schüler in Frage stellte.

Ob in der politischen Debatte jene, die sich besser machen als andere.

Die Ameisen tragen das Vielfache ihres Eigengewichts.

Und Europa scheitert an der Flüchtlingsfrage.

Kinder, wir haben die Relationen aus den Augen verloren.

Weil alle etwas werden wollen. Alle wollen etwas sein, für etwas stehen,

sich positionieren, sich erklären, etwas darstellen, fame sein, berühmt,

bekannt und unersetzlich. Wir schreien auf Instagram ebenso laut wie die

Bild auf Papier. Wir kämpfen um die Aufmerksamkeit aller und nicht mehr

um die Liebe weniger. Wir haben keine Freunde mehr, sondern verlassen

uns auf die Crowd. Wir vertrauen unseren 3.000 FB Freunden mehr, also

uns selbst.

Alle wollen geliebt werden,

aber haben verlernt zu lieben.

Reden wir über die Würde,

dann brauchen wir ein neues Narrativ.

Reden wir also über die Liebe.

Wenn die Liebe eine Korrektursäule ist,

eine Leitfigur ins gold´ne Glück,

wenn die Liebe das tut, was wir selbst NICHT können,

dann müssen wir lernen, uns wieder selbst zu lieben:

Als ich mich selbst zu lieben begann,

habe ich verstanden, dass ich immer und bei jeder Gelegenheit,

zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin

und dass alles, was geschieht, richtig ist.

Von da an konnte ich ruhig sein.

Das nenne ich VERTRAUEN.

Als ich mich selbst zu lieben begann,

habe ich mich von allem befreit, was nicht gesund für mich war,

von Speisen, Menschen, Dingen, Situationen

und von Allem, das mich immer wieder hinunterzog, weg von mir selbst.

Anfangs nannte ich das gesunden Egoismus.

Heute sage ich. Das ist SELBSTLIEBE.

Als ich mich selbst zu lieben begann,

habe ich aufgehört, immer recht haben zu wollen,

so habe ich mich weniger geirrt.

Das nenne ich DEMUT.

Die Würde hat sich verabschiedet und nun auch ihre Ferse mitgenommen.

Sie sitzt im Zug und fährt dahin.

Sie hat jedoch ihre Gegner und Schwergewichte zurückgelassen.

Diese sitzen, versteckt im Morgenrock, tief in unser´m Kopf und halten

uns fest.

Wir denken alle nur mehr in Kategorien.

Wir denken in Willkommenskulturen, in Bahnhofapplaus,

wir denken in Fremdenhass und in “mir-san-mir”,

wir denken in “ja, aber” und “wenn´s nach mir ginge”.

Wir haben verlernt zu denken, wie mir scheint.

Wir reden nur mehr, was wir hören.

Wir wollen nicht, was wir uns nicht vorstellen können.

Wir reden und reden und reden und reden …..

und tun nichts mehr.

Wir redeten so lange, bis wir übersahen,

dass sich mit der Würde auch die Haltung verabschiedet hat.

Haltung zeigen ist sowas von 20th century.

Haltung kann in Likes nicht aufgewogen werden.

Haltung ist over.

Und weil wir keine generationsübergreifenden Klammern finden, ist es

eben die Liebe, die Freude am Lieben, die uns die Würde wiedergeben

kann.

Denn ihr müsst wissen ….

wenn ich liebe, dann ist es wie ein Sonntag Vormittag. Ein

Strandspaziergang. Zehen im Sand. Die Hände tief drinnen in

marokkanischen Säcken voller Gewürze. Es ist wie Queen´s großartiger

Song “Bohemian Rhapsody” in der Badewanne oder die Matthäus Passion

am Waldesrand. Auch Sterne knallen manchmal aufeinander und es

entstehen neue Welten.

Zu lieben ist eben völlig anders als nicht zu lieben.

Das Leben ist wie Lieben – nur ohne „i“.

Lass mal an uns selber glauben.

Oida.

Würde & Frauen in Armut 

Vera Hinterdorfer

Wien, 02.05.2018 

Ich bin 33 Jahre alt, habe eine neurologische Erkrankung wegen der ich seit Geburt im Rollstuhl sitze. Ich habe als Kundenberaterin in 2 großen Unternehmen Österreichs gearbeitet, aber seit 3 Jahren befinde ich mich in Invaliditätspension. Das bedeutet, ich bin zum einen eine sehr junge Pensionistin und ich bin armutsbetroffen – von jetzt an bis ich sterbe.

Doch ich will mich engagieren und so bin ich aktiv als Vertreterin der Plattform Sichtbar Werden , einer Initiative von Menschen mit Armuts- und Ausgrenzungserfahrung. In ihr sind österreichweit selbstorganisierte Vereine und Gruppen aktiv um als betroffene Experten Lücken und Barrieren im System sichtbar zu machen, genauso wie Lösungsansätze dazu.

Weiters und auch deswegen, bin ich Teil des Koordinationsteams der Österreichischen Armutskonferenz , einem Netzwerk von über 40 sozialen Organisationen und Einrichtungen in ganz Österreich. Wir thematisieren Hintergründe und Ursachen, Daten und Fakten, Strategien und Maßnahmen gegen Armut und soziale Ausgrenzung in Österreich.

Ich danke Ihnen sehr für die Einladung zur Wiener Woche der Würde. Mein erster Gedanke dazu war „ Ja natürlich will ich einen Beitrag zur Gestaltung der Würde leisten!“ Würde ist nicht nur ein theoretisches Grundrecht, es ist die Basis aller Menschenrechte. Zusätzlich empfinde ich Würde als menschliches Ideal- Würden alle Menschen würdevoll handeln und leben, sehe die Welt anders aus.

Und sehr schnell erkannte ich meine erste Herausforderung. Würde hat so viele Facetten.

Es gibt so viele unterschiedliche Verständnisse davon. Deshalb möchte ich uns zuerst eine gemeinsame Basis der Bedeutung schaffen, damit meine praktischen Ansätze danach besser nachvollziehbar sind. Grundsätzlich unterscheiden wir zwei Kategorien der Würde–  einmal die Vorstellung davon: „ Was bedeutet Würde bei einem Menschen? –  und davon abgeleitet der Rechtsbegriff : „ Was bedeutet Würde für einen Menschen?

Wenn wir uns zuerst der Vorstellung, unserem Bild von Würde zuwenden, sind sich die großen Philosophen der Geschichte einig: man muss unterscheiden zwischen der Würde „ nach Innen“  sowie „ nach Außen“ , wie ich es vereinfacht nenne. Cicero, zum Beispiel, sieht Würde zum einen als eine „ persönlich zu erwerbende Eigenschaft“ . Ein Bewusstsein des eigenen Wertes muss entwickelt werden, denn das bestimmt unsere Haltung. Er sagt aber auch: „Würde bezeichnet die Nützlichkeit der Taten für eine Gemeinschaft, bestimmt von der Gemeinschaft.“  Hier richtet er sich klar nach außen, was zeitgeschichtlich gesehen eine sehr frühe handlungsbezogene Erklärung darstellt.

Denn erst etwa 1700 Jahre später wendet sich die Aufklärung wieder der Würde zu. Emmanuel Kant sieht sie als Handlungsbewertung, wie einen Preis den man vergibt. „ Würde entsteht aufgrund unseres inneren Wertes mit dem wir Handeln als moralisch gut oder böse bewerten.“  Sie bestimmt die Qualität unserer Handlungen, individuell und gesellschaftlich gesehen. Hier beginnt der Gestaltungsauftrag der Würde – denn Qualität kann man steigern. Es gibt dann nicht nur schwarz und weiß, sondern es gibt eine Entwicklung dazu. Friedrich Schiller geht darauf genauer ein. Er beschreibt Würde „ als Ausdruck einer erhabenen Gesinnung, aufgebaut auf die Befriedigung elementarer Bedürfnisse und Überwindung materieller Not“ .

Diesen Ansatz sehe ich als Grundlage für unseren Rechtsbegriff von Würde. Viele Länder haben Würde als obersten Wert ihrer Verfassung oder ihres Grundgesetzes –  darunter Deutschland, Schweden, Schweiz, Belgien und viele mehr –  Österreich gehört leider nicht dazu. Aber die EU schreibt bereits am Anfang ihrer Grundrechtecharta von 2009: „ Die Union gründet auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen.“  Der Wortlaut „ Unteilbar und universell“  gibt der Würde eine Allgemeingültigkeit. Die Würde ist das tragende Fundament. Sie steht nicht nur auf einem Level mit unseren Grundrechten auf freie Entfaltung unserer Persönlichkeit, Gleichheit aller vor dem Gesetz, unserer Glaubens- und Meinungsfreiheit. Die Allgemeingültigkeit stellt sie darüber.

Der unbestimmte Rechtsbegriff für Menschenwürde lautet: Bestimmte Grundrechte und Rechtsansprüche des Menschen bzw. die Summe davon. Also auch hier sehen wir die Gestaltungsmöglichkeit , eine Summe ist veränderlich. Artikel 3 des EU-Vertrages nimmt das Gestaltungsprinzip auch auf: Die EU verpflichtet sich die Werte der Menschenwürde zu fördern und zu gewährleisten, sowie sie zu verwirklichen und weiterzuentwickeln wo es noch Mängel gibt.

Dem hat auch Österreich zugestimmt. Genau wie der Charta der Vereinten Nationen. „ Wir glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichstellung von Mann und Frau..“ Moment.!

Würde in einem Satz gleichgestellt mit den Grundrechten und der Gleichstellung von Mann und Frau. Ich frage ganz ehrlich: Ist das möglich? Ich möchte Ihnen meinen Zweifel an diesem Rechtsverständnis gerne an einem praktischen Beispiel, sozusagen Probleme des Alltags sichtbar machen.

Eine Frau, die ich persönlich sehr schätze, lebt in folgender Situation. Sie ist ca. 70 Jahre alt und hat 3 erwachsene Söhne, alle 3 studieren oder arbeiten im Ausland. Ihr Mann war höflich ausgedrückt, sehr herrscherisch und cholerisch, er hat sie an den Haushalt und die Erziehung der Kinder fest gebunden. Eine Scheidung war nicht möglich, wie sollte sie dann die Kinder ernähren und Ihnen eine gute Schuldbildung bieten?  Also hat sie gewartet bis die Kinder auszogen, dann ließ sie sich scheiden. Doch mit Mitte 50 Jahren als Frau bist du für den Arbeitsmarkt nicht mehr attraktiv, noch dazu wenn man 25 Jahre nicht erwerbstätig war. So hat sie sich mit schlecht bezahlten und qualifizierten

Jobs über Wasser gehalten, bis die Alterspension kam. Und dann erzählt sie folgendes:

„ Vera, ich habe seit ich 14 bin jeden Tag meines Lebens gearbeitet. Auch wenn ich kein Geld und schon gar keine Anerkennung bekommen habe, aber 25 Jahre Kinder erziehen und Haushalt organisieren ist viel Arbeit. Und meinen Kindern geht’ s jetzt gut, dass wollte ich ja. Aber ich dachte mir immer: In der Pension kannst du dann liegen bleiben. Da musst du nicht immer aufstehen, weil sonst nichts mehr funktioniert. Dann kannst du es dir gut gehen lassen, das hab ich verdient. Aber jetzt bin ich 70 und will nicht mehr! Aber jeden Tag im Winter muss ich mich aufs Neue entscheiden: Will ichs heute warm in meiner Wohnung haben? Oder will ich Kartoffeln essen? Mehr kann ich mir sowieso nicht leisten und Kartoffeln sind eh gut. Aber beides, Essen und Heizung ist unmöglich, das geht nicht. Ich weiß, wenn ich heute liegen bleibe und nicht jeden Tag zu meinen kleinen Jobs gehe, habe ich morgen nichts zu essen und nächstes Monat keine Wohnung mehr. Wann darf ich endlich Ruhe zur Ruhe kommen?“

Und nun meine Frage: Warum darf diese Frau kein würdevolles Leben führen? Ist die erfolgreiche Erziehung und Bildung ihrer Kinder wirklich so wenig nützlich für die Gemeinschaft?  Denken wir dabei nochmal an Cicero Bezeichnung, Würde als die Nützlichkeit der Taten für eine Gesellschaft. Meine Bekannte hat 25 Jahre kein Geld verdient, ja. Aber ihre Söhne sind dank ihr vollwertige Teile unserer Gesellschaft –  zählt das nichts? Und sie ist nicht alleine. 20% aller Frauen, die sich in Österreich in Pension befinden sind armutsgefährdet. Laut Statistik Austria bedeutet das in Zahlen: Im Jahr 2016 betrugen die monatlichen Bruttopensionen einer Frau (ohne Beamtinnen und zwischenstaatliche Teilleistungen) durchschnittlich € 920, -. – das ist über € 250, – unter der Armutsgrenze.

Jene der Männer im Vergleich lagen bei € 187 6,- – das sind 51% Unterschied ! Abgesehen von unserer Pensionistinnen waren insgesamt laut EU SILC im Jahr 2016 655.000 Frauen von Armuts- oder Ausgrenzung gefährdet. 104.000 Frauen davon leben in Haushalten mit erheblich materieller Deprivation. Was bedeutet für den Alltag?Mindestens 4 der folgenden Merkmale treffen zu: Der Haushalt hat Zahlungsrückst.ndebei der Miete, beim Strom oder Kreditraten; der Haushalt kann keine unerwarteten Ausgaben tätigen; der Haushalt kann sich nicht leisten: zu Heizen, eine ausgewogene Ernährung, Urlaub, Auto, Waschmaschine, TV, Festnetz oder Handy. Und folgendes steht nicht dabei aber ist klar: etwas ansparen ist unmöglich.

Hier möchte ich Ihnen auch einen Begriff näher bringen, der mich persönlich sehr schockiert hat – Menstruationsarmut . Dieses Wort bezieht sich nicht auf den medizinischen Begriff. Menstruationsarmut wirtschaftlich gesehen bedeutet, dass sich eine Frau während ihrer Zeit der Periode nicht genügend adäquate Hygieneprodukte leisten kann, ihr fehlt das Geld dazu. Es gibt keine offiziellen Zahlen dazu, aber alleine auf der Tatsache, dass man einen Begriff dafür finden musste, denke ich: jede Frau auf die das zutrifft in Österreich ist eine zu viel!

Ich glaube wir sind uns auch einig, dass diese Situation keine würdevolle ist. Freiheitsrechte, Persönlichkeitsrechte, genauso wie WSK-Rechte sind außerdem klar gefährdet. Und falls jemand meint „ ja dann hätten‘ s halt mehr gearbeitet“ , hören sie sich die Begründung von Statistik Austria an: „ Zu den wichtigsten erklärenden Faktoren für niedriges Erwerbseinkommen bei Frauen, zählen Branche und Beruf, da Frauen nach wie vor öfter in schlechter bezahlten Dienstleistungsberufen und in Branchen mit geringeren Verdienstmöglichkeiten arbeiten, während Männer häufiger in besser bezahlten technischen Berufen und Führungspositionen zu finden sind.

Da Frauen im Schnitt niedrige Erwerbseinkommen haben und ihre Versicherungsverläufe Lücken aufweisen, liegen ihre Pensionen unter jenen der Männer. … (die Begründung für Altersarmut) Einen deutlichen Einfluss auf das Einkommen haben das Ausmaß der Beschäftigung, da Teilzeitbeschäftigte auch pro Stunde geringer entlohnt werden, sowie auch Unterschiede in der Dauer der Zugehörigkeit zum Unternehmen. Zum Beispiel Karenzzeiten unterbrechen natürlich diese Dauer. Und das bei nicht so wenigen.

Als Gründe für Teilzeit oder atypische Beschäftigung waren bei 37,5% der Frauen Betreuungspflichten für Kinder  oder pflegebedürftige Erwachsene ausschlaggebend – im Vergleich dazu war das bei Männern 4,2%. Das bedeutet: Insgesamt gingen 2016 rund 53% der Frauen aber nur 17% der Männer in ihrer Haupttätigkeit einer atypischen Beschäftigung nach (also Teilzeit, freier Dienstvertrag, Leih- bzw. Zeitarbeitsverhältnis, geringfügige Beschäftigung oder Befristung des Vertrags). …

Außerdem übten 2016 insgesamt 8,1% der unselbstständigen erwerbstätigen Männer eine führende Tätigkeit aus. Bei Frauen waren mit 3,7% dagegen deutlich weniger in führenden Positionen tätig. Und weil es eindeutig zu diesem Thema gehört, der österreichischen Gender Pay Gap – 20,1%. Das bedeutet in der Praxis, dass Frauen dieses Jahr bis zum 27.Februar unbezahlt gearbeitet  haben. 2 Monate von 12 ungefragt kein Geld für seine Arbeit bekommen –  wer findet das gut und fair? Dieser Wert hat sich in den letzten 10 Jahren um 5% verbessert –  Österreich liegt nun auf Platz 23 von 28 . Ich will damit sagen: Es geht besser! Ganz klar ist eine Steigerung möglich. Das sieht man in 22 anderen Ländern der EU. Zum Beispiel in Schweden liegt der geschlechtsspezifische Lohnunterschied unter dem EU-Durchschnitt bei 13,3%. Und noch dazu weist es eine sehr hohe Erwerbstätigenquote bei Männern und Frauen auf, unabhängig von Arbeitszeiten oder Positionen.

Und da bin ich einer Meinung mit Herrn Kleinschmidt, der morgen an der Woche der Würde teilnimmt. Das Rad muss nicht neu erfunden werden. Für beinahe jedes Problem gibt es bereits irgendwo auf dieser Welt eine Lösung. Wir müssen uns verbinden!  Zur Verbesserung der geschlechtsspezifischen Unterschiede in Österreich könnten wir uns doch ein Beispiel an Schweden nehmen und uns effektive Lösungsansätze holen.

Es hat auch einen weiteren Grund warum ich Ihnen diese Zahlen vorhergehenden genannt habe: Erinnern wir uns an die Beschreibung von Würde zu Beginn, sie stellt unter anderem eine Bewertung einer Handlung dar. Dann sagen diese Zahlen eigentlich, dass Tätigkeiten von Frauen eindeutig weniger nützlich sind als die der Männer in Österreich. Diese offiziellen Fakten nehmen Frauen somit eine würdevolle Gleichbehandlung. Entspricht das wirklich unserer Meinung? Meiner nicht und ich glaube auch ihrer nicht.

Und im Endeffekt ist ein Schritt zur positiven Weiterentwicklung fast einfach. Es ist nur eine einzige klare Entscheidung  unserer Regierungs- und Parlamentsparteien notwendig. Warum nehmen sie sich diesem Thema nicht an? Keiner von ihnen kann hinter einer Schlechterstellung und unfairen Behandlung von Frauen stehen. Keiner von ihnen kann es gut heißen, wenn Frauen zu wenig Geld für Essen, Heizen oder OB´s haben.

Wir befinden uns hier fernab von Ideologien, nicht rechts, nicht links, nur bei der Frage: ist das richtig oder falsch?  Auf Basis dieser Frage sollte es jeder Regierung leicht fallen eine Entscheidung zu treffen. Ein klares Bekenntnis in der nächsten Parlamentssitzung für gleichen Lohn bei gleicher Arbeitszeit und gleicher Position, das zum Gesetz gemacht wird – und wir wären einen großen Schritt weiter Richtung Würde und Gleichstellung im Alltag und Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung.

Ich denke dabei auch an unsere Zukunft, an unsere jetzigen und zukünftigen Kinder und Generationen. Zu Beginn sprach ich von der „ inneren Würde“  als Haltung und Eigenschaft, die es zu entwickeln gilt. Wenn wir Erwachsene eine ungleiche und somit auch würdelose Behandlung von Frauen als gegeben hinnehmen, beeinflussen wir damit, wie sich die Werte unserer nächsten Generation  entwickeln. Wenn wir es akzeptieren, dass Frauen weniger Würde und Nutzen als Männern zugesprochen wird, wird sich das nicht ändern. Und schlimmer noch: es wird zur Gewohnheit werden und sich manifestieren, weil wir es von Generation zu Generation weitergeben.

Noch dazu besteht das höchste Armutsrisiko aller Haushaltstypen in Österreich bei Ein- Eltern-Haushalten, die laut Statistik Austria fast ausschließlich aus Frauen mit Kinder bestehen. Sie sind mit 30% am meisten von Armut und Ausgrenzung gefährdet. Und wir wissen leider, dass aus Kindern, die in materieller Armut aufwachsen, zu meist arme Erwachsene werden.

Wir haben hier also einen Teufelskreis aus materieller, rechtlicher und gesellschaftlicher Armut. Und unsere Regierung könnte das mit einer einzigen Entscheidung beenden. Und ich behaupte, auch wir können etwas daran ändern . In meinen Vorbereitungen bin ich auf weitere interessante Dinge gestoßen, die uns eine dazu Möglichkeit bieten.

Die deutsche Gesetzgebung beschreibt bereits in ihrem ersten Artikel die Würde des Menschen als unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt –  heißt es weiter. Aus diesem Wortlaut ergeben sich viele Studien und weitere Gesetzeszusätze, denn: Wenn die Würde unantastbar ist, gibt es nichts was sie beeinflussen kann. Also sollte es auch nichts geben wovor sie geschützt werden muss. Oder? Und was ist eigentlich das Gegenteil von Würde? Wodurch kann sie persönlich und rechtlich verletzt werden?

Verschiedene Lexika bezeichnen das Gegenteil von würdevoll als würdelos, schändlich oder auch nichtswürdig. Verletzt werden kann die Würde somit von schändlichen Taten. Immanuel Kant beschreibt die Verletzung der Menschwürde in der sogenannten Objektformel. Das Grundprinzip der Menschenwürde besteht für ihn in der –  Achtung vor dem Anderen, –  der Anerkenntnis seines Rechts zu existieren und –  in der Anerkenntnis einer prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen, auch Mann und Frau. Kant geht davon aus, dass der Mensch ein Zweck an sich  sei und nicht einem ihm fremden Zweck unterworfen werden darf.

Der Ausdruck „ Zweck an sich“  meint jenen Wert- und Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Menschseins zukommt, unabhängig von seinen Eigenschaften, seinem körperlichen oder geistigen Zustand, seinen Leistungen oder seinem sozialen Status –  einfach weil ich ich bin. Würde sollte als niemandem genommen werdenkönnen, weil sie dem Menschen durch seine bloße Existenz eigen ist. Sehr  kann der Achtungsanspruch verletzt werden, den jeder Einzelne von uns als Rechtspersönlichkeit hat.

Gemäß der Objektformel passiert das, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel herabgewürdigt wird  oder auch ein Mensch einen anderen bloß als Mittel für seine eigenen Zwecke benutzt. Gefordert wird hier ein respektvoller Umgang mit dem Menschen, ein Haltung ausdrücken die keine verachtende Behandlung darstellt.

Wieder bezieht sich diese Erklärung auf uns Menschen persönlich wie auch auf die Haltung des Staates. Diese Formel bietet die Grundlage der deutschen Bundesverfassung. Ich beziehe mich auf sie mit dem vorher geäußerten Gedanken, dass es bereits Strategien gibt, die wir aufnehmen und weiterentwickeln können. Laut Definition des deutschen Bundesverfassungsgerichtes ist die Menschenwürde oberster Grundwert und Wurzel aller anderen Grundrechte. Die Achtung der Menschenwürde ist Voraussetzung und Garant für die Geltung aller weiteren Menschenrechte. Sie sollte jede Legalisierung des Entzugs der Grundrechte oder Menschenrechte verhindern.

Weiters bezieht der Staat nach der Ordnung des Grundgesetzes der Menschenwürde seine Legitimation allein daraus, dass er den Menschen konkret dient. Das bringt mich zur folgenden Schlussfolgerung:

1.  Wenn der Staat/die Regierung/das Parlament uns zu dienen hat, dann sind wir ihre Auftraggeber.

2.  Würde unterliegt dem sozialen Wandel und dem respektvollen Umgang in der Gesellschaft.

In beiden Fällen sind wir persönlich gefragt, jeder einzelne von uns. Wir sind Teil der Lösung, jeder von uns der hier sitzt. Wir müssen Achtung, Anerkennung und Gleichwertigkeit aller Menschen  in unseren Handlungen sichtbar machen, unabhängig von Geschlecht, Generation und Alter. Wenn wir das zur Grundlage unserer Taten machen, vermehrt es sich wie ein Schneeball. Andere Gesinnungen werden beeinflusst und können entwickelt werden.

Und wenn die Mehrheit der Menschen, der Auftraggeber des Staates , eine würdevolle Gestaltung und Vertretung geltenden Rechts fordern, wird der Staat uns gemäß unserer Gesinnung dienen und handeln. Ja, ich weiß, dass scheint illusionär, weil es ewig dauern kann. Es ist ein langer Prozess der zermürben kann, sozusagen sind Babyschritte notwendig. Aber die Würde jeder Frau, jedes Mannes, jedes Kindes jetzt und in Zukunft und die damit verbundene Befriedigung elementarer Bedürfnisse und materieller Not, sind es wert  sich jeden Tag aufs Neue dafür einzusetzen. Darum bitte ich Sie zum Schluss: achten wir gemeinsam und alleine so oft wie möglich auf eine anmutige, erhabene Gesinnung –  und wir können würdevollen Umgang in unserer Gesellschaft zu einer Gewohnheit machen nach der der Staat sich richtet.

Danke

 

Eröffnungsrede der Wiener Woche der Würde

Dr. Zuzana Luckay Mihalcinova

Wien, 2. Mai 2018

Was ist Würde? Das ist die Frage, die ich mir in den letzten 15 Jahren selbst und die mir andere gestellt haben. Offen gesagt, ich bin mir nicht sicher. Was wir mit Sicherheit wissen ist, dass es ein komplexes Konzept ist.

Wir können es nicht definieren, aber wir fühlen es. Es scheint, dass wir intuitiv wissen, was Würde bedeutet, obwohl wir sie nicht in Worte fassen können.

Für einige von uns ist sie so bedeutend, dass wir bereit sind, sie bis zum bitteren Ende zu verteidigen. Diejenigen, die denken, sie haben sie, führen Kämpfe gegen die, von denen sie denken, dass sie sie nicht haben. Daraus folgen Fragen: was für einen Zweck hat ein Konzept, der solch gegensätzliche Bedeutungen für Menschen hat und zu Missverständnissen führen kann.

Fragen, auf die ich in meiner Arbeit nach Antworten suche, sind: inwiefern ist Würde ein abstrakter Begriff? Wie beeinflusst das Vorhandensein des Konzepts der Würde unser Leben?

In meiner Forschung unterscheide ich zwischen Würde und Menschenwürde. Die Menschenwürde bezieht sich auf die Menschheit als Spezies. Darüber, ob der Mensch Würde hat oder nicht, können wir theoretisieren. Darüber, ob sie Teil der menschlichen Natur ist. Wenn die Menschenwürde dem Menschen inhärent ist, kann sie ihm weder genommen noch zurückgegeben werden. Was aber wenn jemand spürt, dass ihm seine Würde genommen wurde? Wer bin ich, um zu behaupten, dass dem nicht so ist, da ja Würde nicht genommen werden kann, da wir sie ja alle als Menschen haben. Deshalb hat der Begriff Würde in meiner Forschung ihren Platz im individuellem, persönlichen Spektrum der deskriptiven Analyse. Dies ist das qualitative Niveau, auf welchem sie weggenommen und wiedererlangt werden kann. Sie ist nicht unveränderlich, sondern schwankt durch Interaktion.

Würde ist Gegenstand des Studiums verschiedener Fachdisziplinen. Im Rechtsdiskurs kommt sie im Kontext der Menschenrechte und im Kontext verfassungsrechtlicher Diskussionen zur Sprache, aber gleichermaßen in Bioethik sowie in der künstlichen Intelligenz. Sie ist auch Anliegen der Philosophie, Theologie, der Religionswissenschaften und der Naturrechtslehre, die mit der Konzeptualisierung des Begriffs ‘Menschenwürde’ oder ‘Würde des Menschen’ arbeiten. Andererseits, die deskriptive Betrachtungsweise des Konzeptes, das heißt, Würde als individuelle Erfahrung, wie sie sich im Verhalten und in der gesellschaftlichen Interaktion äußert, ist Anliegen der Psychologie, Soziologie, Anthropologie, kognitiver Wissenschaften, der Neurowissenschaft wie auch der Ästhetik, Linguistik, Soziolinguistik und der Literatur.

Ich schlage vor, Würde nicht für selbstverständlich zu halten und ihr nicht die Idee zuzuschreiben, dass sie inhärent ist, aber sie auch nicht als überflüssig zu verwerfen, zum Beispiel, weil es das Konzept der ‘Autonomie’ gibt. Vielmehr ist Würde als Konzept zu betrachten, das zum Bestandteil unserer Verortung in der Welt geworden ist und auch eine deskriptive Funktion hat und dass wir uns damit befassen sollten.

Ich schlage vor, das Konzept der Menschenwürde nicht als etwas zu betrachten, dass es zu entdecken gilt. Ich empfehle, Denkströmungen, die behaupten, sie hätten Würde entdeckt, kritisch auf den Prüfstand zu stellen sowie neue Denkweisen über Würde zu erwägen. Das heißt, zu schauen, was Würde und Menschenwürde in verschiedenen Zeiten in soziohistorischen Kontexten bedeuteten und welche Konsequenzen, wenn überhaupt, daraus abzuleiten sind. Vereinfacht gesagt: dies kann als Objektiv dienen, durch das wir auf die Geschichte schauen. Verschiedene Interpretationen der Würde sind strikt im Rahmen soziohistorischer sowie kulturell-anthropologischer Kontexte zu betrachten. Das heißt, die Evolution des Konzepts ist ein ontologischer, aber auch ein epistemologischer und hermeneutischer Prozess. Ich behaupte, dass die Überreste historisch oftmals überholter Konzeptualisierungen der Würde uns auch heute prägen und zu vielen Missverständnissen beitragen, die wiederum eine gewisse Rolle in Konflikten spielen. Ich argumentiere gegen zeitlich fixierte Definitionen der Idee der Menschenwürde. Weil wir in dem Moment, wo wir denken, dass wir Würde gefunden oder erreicht haben, aufhören, sie zu üben.

Über unseren eigenen Selbstwert – englisch worth – denken wir auf Basis unserer Werte – englisch value – unserer moralischer Prinzipien. Verschiedene Sichtweisen darauf, was unseren Selbstwert bildet, ergeben sich aus verschiedenen Wertesystemen. Die übliche Forderung ist, dass wir alle berechtigt sind, an unseren Werten und den daraus abgeleiteten Vorstellungen über den Selbstwert festzuhalten, sofern sie in Toleranz nebeneinander bestehen, wobei die Menschenwürde als ‘Gesellschaftsvertrag’ fungiert. Aber die Zügel der Toleranz sind nicht stark genug, um diesen Vertrag festzuhalten. Toleranz fungiert auf der Oberfläche, sie basiert auf Repression, die eine Sicherung von kurzer Lebensdauer ist und Hass und Aggression auslösen kann.

Das Jahr 2018 ist von der UNO dem nachhaltigen Frieden gewidmet, vielleicht können wir über den ‘Wert der Menschlichkeit in der Person’ im Kantschen Sinne nachdenken. Uns selbst sowie anderen können wir normative Kapazität im Rahmen aktiver Kritik zugestehen. Ich glaube fest daran, dass dies der Weg zum nachhaltigen Frieden ist. Der Philosoph Ján Patočka schrieb über Frieden als Phase des Krieges, während welcher der Feind Kräfte zum Gegenangriff sammelt. Nachhaltiger Frieden kann von autonomen Menschen unter Beachtung der Autonomie von Personen erreicht werden. Verständnis kann nur aus offener Nachfrage und echtem Interesse am Verstehen anderer Wertesysteme ohne vorgefasste Meinungen entstehen. Das bedeutet nicht, dass wir uns sie zu eigen machen, sondern dass wir deren Werte als gültig annehmen.

Wenn es zur kultureller Relativität der Interpretationen von Würde kommt, erkennen wir, dass unsere Meinungen darüber, woraus Würde besteht, beeinflusst werden durch unseren Hintergrund, durch eine Reihe an Überzeugungen und Wertesystemen, die wir als unsere Kultur wahrnehmen. In dieser Analyse gehen die Geschichte, Anthropologie, Religionswissenschaften und Kulturwissenschaften der Psychologie zur Hand. Wenn wir uns wiederum die Folgen dessen anschauen, welche Auswirkungen verschiedene Sichtweisen auf die Würde auf die soziale Interaktion, das Formen von Gruppenidentität und das anschließende Verhalten haben, betreten wir das Reich der Politikwissenschaften, der Konfliktlösung, der Menschenrechte und der Friedensforschung.

Da nur selten Argumente gegen die Würde vorgebracht werden, ist sie vielleicht der mächtigste Trigger, weil unsere Wahrnehmung und Vorstellung des Selbstwerts für uns von zentraler Bedeutung ist und uns auch verwundbar macht. Verwundbar, da sie benutzt werden kann, um uns zu Dingen zu zwingen, zu denen wir uns sonst nicht bekennen würden. Die Macht des Konzepts der Würde ist nicht erst heute erkannt worden, auch schon in der Vergangenheit wurden verschiedene verdeckte Vorschläge gemacht, wie wir unseren Selbstwert wahrnehmen sollten, Vorschläge, die kurzfristigen Bedürfnissen dienten und die von Ideologien unterstützt wurden, die mehr oder weniger unverhohlen Hierarchien, Unterdrückung, Ausbeutung und sogar Krieg rechtfertigten. Einige dieser Ideologien bezeichnen wir im Rückblick als totalitär, unterdrückerisch und von Grund auf falsch. Man kann sagen, dass die Verurteilung dieser Ideologien zu Bemühungen führte, Umstände zu schaffen, in denen sie nicht gedeihen können. Vielleicht können wir die Französische Revolution, das Ende des Kolonialismus und die Erklärung der Menschenrechte als Ausdruck solcher Bemühungen interpretieren.

Der letzte große Versuch, die Menschenwürde gegen Missbrauch zu schützen, ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO von 1948. Die Menschenrechtserklärung erklärt das zugrundeliegende bzw. vorrangige Niveau, auf dem alle Menschen gleich sind ungeachtet dessen, was wir als unseren eigenen Wert betrachten, oder was andere als unseren Wert wahrnehmen. Das geläufigste Verständnisses der Würde ist, dass sie nicht verhandelbar ist.

Wir Menschen weigern uns oft, Verwundbarkeit zuzugestehen, die jedoch die grundlegendste menschliche Eigenschaft ist und die uns im Sinne gegenseitiger Abhängigkeit alle verbindet. Wenn wir das nicht sehen, erkennen wir auch nicht den gleichen menschlichen Wert.

Die Menschenrechte erklären die Existenz von Menschenwürde und aus dieser Erklärung werden Normen abgeleitet: weil wir alle Menschenwürde haben, sollten wir dementsprechend miteinander umgehen. Aber Normen können nicht aus Erklärungen abgeleitet werden. Diese Tatsache stellt eine Herausforderung dar beim abstrakten Betrachten der Menschenwürde.

Es ist wichtig daran zu denken, dass Würde nicht isoliert existiert, sondern im Sinne der Philosophie von Levinas mittels des Seins mit dem Anderen.

Diese Wiener Woche der Würde ist der Arbeit von Viktor Frankl gewidmet. In seinem einflussreichen Werk „… trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ schrieb er, dass jedermann und unter allen Umständen sich entscheiden kann, was aus ihm wird; der Mensch kann seine Menschenwürde auch im Konzentrationslager bewahren. Er ist der Auffassung, dass wir eine innere Entscheidungsfreiheit haben.

Wir alle, die wir heute hier sind, haben uns entschieden, Würde nicht zu ignorieren, sie nicht als erhabenes Ideal abzuweisen, aber sie auch nicht für gegeben hinzunehmen. Wir haben uns entschieden, einige Tage mit kritischen Fragen zu verbringen, was es bedeutet, Würde zu haben und im Grunde, was es bedeutet, Mensch zu sein.

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